Die Besteigung des Chachani

In aller Frühe werden wir am Dienstagmorgen, den 21.September 2010 in Chivay abgeholt. Wir sind noch 7 Teilnehmer, die den Chachani in 2 Tagen besteigen wollen. Am Vorabend hat sich Richard mit Durchfall und Schüttelfrost abgemeldet. Er muss leider zunächst im Hotel bleiben und unsere restliche Gruppe im Laufe des Tages nach Arequipa begleiten.

Unsere Fahrt geht zunächst von Chivay hinauf auf den 4.800m hohen Patapampa Pass, wo wir einen Stopp einlegen und wiederum beeindruckt sind von dieser hohen Passstraße; die zu einer der höchsten weltweit zählt. Weiter geht es dann zur Straßenkreuzung Puno / Arequipa, wo wir direkt abbiegen auf die „dirty road" in Richtung Vulcano Misti und Chachani. Unterwegs sehen wir mehrere Familienverbände der hier wild lebenden Vikunjas und sogar ein einzelnes und selten zu sehendes Guanako, der neben Lamas und Alpakas 4. südamerikanischen Kamelart. Hier sehen wir überall das leuchtend grüne Yareta-Moos, eine leicht brennbares Material, welches heute unter Naturschutz steht, da es eine uralte (ca. 10.000 Jahre alte) peruanische Kulturpflanze ist.

Der Chachani, Objekt unseres „Begierde", liegt massiv mit seinen 6 Teilgipfeln direkt vor uns. Der Hauptgipfel ist versteckt hinter dem Nebengipfel „Fatima". Respektvoll, den Berg rechts von uns immer beobachtend, näheren wir uns der „Wechselzone", wo wir auf allradgetriebene Toyota Fahrzeuge umsteigen.

 

Irgendwann taucht am Fuße des Chachani ein blauer Jeep auf, auf den unser Busfahrer zuhält. Als wir ihn erreichen, machen wir sofort Bekanntschaft mit unserem peruanischen Führer Julver, ein drahtiger 35-jähriger sehr sympathischer junger Peruaner. Ich erfahre, dass er von Dezember bis Februar am Aconcagua in Argentinien als Bergführer für Inka-Travel arbeitet und sofort haben wir viel Gesprächsstoff über gemeinsame Bekannte in Argentinien am höchsten Berg Südamerikas.

Unsere 7er-Gruppe steigt nun vom Bus auf 2 allradgetriebene Toyota-Fahrzeuge um und ab geht es steil bergwärts zum Ausgangspunkt unserer Besteigung auf etwa 5.000m.

 

Es ist unglaublich, was die Fahrzeuge hier leisten. Über schmale sandgefüllte, mit großen Felsen durchsetzte Trials geht es Meter um Meter im Zick Zack aufwärts. Die Luft in den mit jeweils 5 Personen besetzen Geländefahrzeugen ist heiß. Die Seitenfenster müssen eigentlich geschlossen bleiben, da bei einem eventuellen Umkippen die Fahrzeugstabilität mit dem im Dach eingebauten Überrollschutz erhalten bleiben muss. Hin und wieder öffnen wir die Seitenfenster um die spektakuläre Fahrt besser und hautnaher verfolgen zu können. Mehrmals muss unser Fahrer den Toyota zurückrollen lassen, um mit mehr Anlauf jeweils sandige Anhöhen besser überwinden zu können.

Schließlich, nach mehr als 30 Minuten spektakulärer Fahrt in steilem, felsigem Gelände erreichen wir ein kleines Plateau, auf dem die Fahrt auf knapp 5.200m endet. Hier treffen wir auf die Crew: einen Assistant Guide, der gleichzeitig Koch ist und auf 4 Träger, die Zelte, Küchenausrüstung und Verpflegung zum Basislager auf 5.400m hochschleppen werden.

Zusammen mit Julver machen wir 7 uns bald auf den Weg, beladen mit unserer persönlichen Ausrüstung, um an diesem Tag von 5.000m zum Basislager auf 5.350m - übrigens nahezu so hoch wie das Basislager des Mt.Everest - aufzusteigen. Es ist trotz der Höhe ziemlich warm. In langsamem Tempo folgen wir Julver auf losem Untergrund meist wortlos, im Bewusstsein, dass in der folgenden Nacht eine große Herausforderung auf uns wartet. Bereits gegen 16:00h erreichen wir das Basislager.

 

Hier spüren wir alle die beachtliche Höhe. Einige von uns haben Kopfschmerzen, da insbesondere der schnelle Höhengewinn mit den Jeeps der natürlichen Akklimatisation nicht besonders förderlich ist. Uwe, Konrad und Heinz-Günther begeben sich deshalb in Ihre Zelte, um ein wenig zu schlafen. Wir anderen, Rosi, Paul, Joachim und ich folgen der Regel „go high and sleep low" und begeben uns auf die morgige Aufstiegsroute, um zum nächsten Sattel oberhalb des Basislagers auf 5.600m aufzusteigen. Mit 2 Pausen erreichen wir den Sattel nach ca. 1:15 h. Von dort haben wir einen guten Blick auf die weitere Route, die von hier erstaunlicherweise erst einmal abwärts führt.

Nach einer kurzen Verschnaufpause auf dem Sattel geht es wieder hinunter zum Camp. Gegen 17:30h ist unser Abendessen angesagt: Gemüsesuppe, Nudeln mit Chicken und Maispudding. Nur Joachim isst „richtig"; wir anderen sind ziemlich zurückhaltend, denn so richtig mundet das Essen nicht. Insbesondere die Gemüsesuppe wird - wie sich noch herausstellen soll - einige Spätfolgen hinterlassen.

Nach dem Abendessen begeben wir uns sofort in unsere Zelte, denn für 01:00h ist Wecken angesagt. Bei einigen von uns verläuft die Nacht nicht besonders erholsam: Uwe, Konrad, Paul und ich schlafen nur wenig bzw. gar nicht: der eine oder andere Löffel der vorabendlichen Gemüsesuppe macht sich durch Rumoren in der Magengegend insbesondere bei Konrad und bei mir, begleitet von mehreren Toilettengängen in der kalten Nacht bemerkbar und verhindert jeden Schlaf. Gegen 01:00h erfolgt Gott sei Dank der erlösende Weckruf, der allerdings auch nicht alle Probleme löst: beim gemeinsamen „Frühstück" um 01:30h stellen wir fest: Joachim hat sehr gut geschlafen ist topfit und er kann mit Genuss frühstücken, alle anderen dagegen haben gewisse Probleme: Heinz-Günther und Rosi haben so einigermaßen geschlafen, Uwe, Konrad, Paul und ich haben kaum oder gar nicht geschlafen; wir können alle vier weder Essen noch etwas Trinken; bei Konrad und mir rumort es immer noch deutlich im Magen, als Folge der vorabendlichen Gemüsesuppe. Ich nehme - einem „through out" vorbeugend - eine magensäuresorbierende Tablette. Paul und Rosi klagen über Kopfschmerzen bez. über Magenprobleme. Bei Heinz-Günther sieht es etwas besser aus. Er kann zumindest einigermaßen frühstücken und ein wenig seine Depots auffüllen.

 

Wir alle entschließen uns aber um 01:40h aufzubrechen. In gut 1 Stunde bewältigen wir 7 zusammen mit Julver und seinem Assistant Guide die gut 400 Höhenmeter bis zum Sattel oberhalb des Lagers. Von hier aus geht es zunächst ein Stück abwärts, was zwar einerseits naturgemäß erheblich leichter zu gehen ist, andererseits aber später wieder hochgestiegen werden muss. Nach etwa 30min abwärtsgehen hält uns Julver an und erläutert, dass wir jetzt am „point of no return" angekommen sind. Wer hier weitergeht muß entweder bis zum Gipfel durchhalten oder irgendwo am Berg auf diejenigen warten, die vom Gipfel zurückkommen. Vor uns liegt eine 1 ½ stündige Traverse eines ziemlich steil nach links abfallenden Hangs. Der Pfad ist etwa zwei Fußbreit schmal und immer wieder von Felspassagen, die teilweise mit glatten Eisplatten überzogen sind, durchsetzt. Konrad holt, bevor wir uns auf diese Traverse begeben, die Gemüsesuppe des Vorabends endgültig in Form eines „through out" ein und er hat keine andere Wahl als sich zur Umkehr zu entscheiden. Rosi plagen Kopfschmerzen und die bevorstehende lange Querung veranlasst sie zusätzlich, hier auf etwa 5.600m das Abenteuer Chachani zu beenden. Beide gehen mit Lucio, dem Assistant Guide zum Basislager zurück.

Zu Fünft Julver, Joachim, Uwe, Heinz-Günther, Paul und ich begeben wir uns nun auf die nicht ungefährliche Hangquerung. Vorsichtig, Schritt für Schritt im Schein der Stirnlampen bei etwa -4°C versuchen wir in der schmalen Spur zu bleiben. Nachdem wir uns nach einiger Zeit an diesen Geländeabschnitt gewöhnt und etwas Sicherheit gefunden haben, geht es etwas schneller voran. Doch plötzlich kommt Joachim mit seinem linken Fuß etwas zu nahe an das nach links abschüssige Gelände und in Sekundenschnelle rutscht er nach links etwa 5 - 8m auf allen Vieren den Hang hinunter. In Bauchlage kann er das Abrutschen einigermaßen rechtzeitig abbremsen. Sofort springt Julver, als wenn es nichts sei zur Stelle, wo Joachim zum Stillstand gekommen ist, fragt ihn, ob er o.k. sei und reicht ihm seinen Eispickel zur zusätzlichen Halterung im losen Geröll des Hanges. Sodann legt er ihm ein Seil über den Oberkörper, kommt nach oben auf unseren schmalen Pfad und Joachim kann mit eigener Kraft und mit Unterstützung des Seilzuges wieder „festen Boden" auf unserem Geröll-Trail erreichen. Wir alle sind ein wenig geschockt von diesem Vorfall, erkennen deutlich die Gefahren dieser Querung, setzen aber unseren weiteren Aufstieg jetzt noch vorsichtiger und konzentrierter fort. Nach etwa 2 ½ h Gesamtgehzeit erreichen wir endlich das Ende dieser gefährlichen Querung.

Hier haben wir jetzt die Gelegenheit, die tief unter uns liegende Millionenstadt Arequipa, die hell erleuchtet ist, zu bewundern. Sie breitet sich unten wie ein erleuchteter Teppich auf einer weit ausladenden Fläche aus. Schon bald gilt unsere Aufmerksamkeit aber der weiteren Aufstiegsroute. Wir nähern uns nämlich dem letzten Vorgipfel des Chachani, der Fatima. Hier geht es in zahllosen, unerbittlichen Zick Zacks aufwärts, aufwärts, aufwärts...... Nach mittlerweile gut 3 Stunden Gesamtgehzeit erreichen wir eine Felsgruppe, an der wir eine Pause einlegen. Der Höhenmesser zeigt jetzt 5.750m.

 

Hier hat Paul seinen nächsten „through out". Da ich seit Beginn des Aufstieges weder gegessen noch getrunken habe und mein Magen deutlich signalisiert, dass heute kein Gipfeltag ist, entschließen wir beide uns, hier unseren Aufstieg abzubrechen und an dieser Stelle auf die anderen zu warten, bis sie vom Gipfel zurückkommen. Die Entscheidung dazu fällt uns nicht leicht aber das Risiko in ernstliche Probleme zu kommen - insbesondere wegen der seit Stunden komplett fehlenden Flüssigkeitsaufnahme in fast 6.000m Höhe - und dann eventuell später nicht mehr aus eigener Kraft über den „bottle neck" der Hangquerung herunterzukommen, veranlasst uns hier eine vernünftige Entscheidung zu treffen und heute auf einen Gipfelerfolg zu verzichten.

 

Von uns beiden bewundert und mit guten Wünschen versehen, ziehen Joachim, Heinz-Günther und Uwe, angeführt von Julver, weiter den Hang der Fatima hinauf. Schon bald verschwinden sie als dunkle und rote Punkte hinüberwechselnd zum Gipfeldreieck des Chachani. Wie sie uns später berichten, gilt es hier noch zweimal im Gipfelbereich kürzere, aber giftige Traversen zu überwinden, bevor dann in nochmals endlos erscheinenden Zick Zacks nach insgesamt gut 6 Stunden Aufstieg das kleine Gipfelkreuz des Chachani auf 6.075m erreicht wird. Die 4 beglückwünschen sich gegenseitig und sie sind ergriffen von der grandiosen Rundumsicht, die sich ihnen erschließt, da sie auf dem höchsten Gipfel der ganzen Region stehen. Heinz-Günther breitet eine große rot-weiße „Frankenfahne" und seine regionale Tageszeitung als Symbole seiner Heimatregion aus, um sie fürs Gipfelfoto zusammen mit Uwe und Joachim zu dokumentieren.

 

Nach einer weiteren Stunde Abstieg erreichen die 4 Pauls und meinen Wartepunkt. Nach unseren Glückwünschen für den Gipfelerfolg beginnen wir nun wieder zu sechst den weiteren Abstieg zum Basislager. Zur Sicherung bei der Querung des „bottle neck" der Traverse, die nun umgekehrt zu queren ist, nimmt Julver diesmal Joachim und Uwe ans Seil und ohne weitere Zwischenfälle erreichen wir alle das Basislager und 30 min später die beiden Jeeps, wo auch Rosi und Konrad auf uns bei 5.000m warten.

 

Resümee der Chachani-Besteigung

Der Chachani ist ein toller, im Hinblick auf die Kondition ziemlich herausfordernder Berg. Er ist auf jeden Fall anspruchsvoller als der Kilimandscharo und verlangt auch durch die Traversen bergtechnisch hohe Konzentration und Trittsicherheit. Mit gutem, sicherheitsbewußtem Führer, wie wir ihn mit Julver hatten, und eigener überdurchschnittlicher Kondition aber auch richtiger Einschätzung der eigenen Kräfte - insbesondere den anstrengenden, langen und volle Konzentration erfordernden Abstieg einkalkulierend, ist der Chachani zu schaffen.

 

Wer den Gipfel erreicht, hat ein einmaliges, unvergessliches Bergerlebnis, das nur wenigen vorbehalten ist.

 

 

 

28.09.2010

Paul Thelen